Die Geschichte in der langen Version

Einer derjenigen Schlaraffen, die auf künstlerischer Wanderschaft von Prag auszogen und im Laufe der Zeit den schlaraffischen Gedanken in Europa verbreiteten, war Albert Eilers, der dem Ruf des kunstsinnigen Herzogs Ernst II an das Herzogliche Hoftheater in Coburg folgte. Das Ensemble dieses Theaters hatte neben Coburg auch das Theater in Gotha zu bespielen, denn wenn der Herzog von Neujahr bis ins Frühjahr dort residierte, wollte er auf sein höfisches Theater- und Musikleben natürlich nicht verzichten. Und hier nun begann die eigenartigste Gründungsgeschichte eines "Reyches" in der gesamten Historie der Schlaraffia.

Gotaha - 28

Am 04.02.1881 zog Eilers, der soeben ein intensives Gespräch mit einem reisenden Stuttgarter Schlaraffen geführt hatte, beseligt durch die dunklen Gassen Gothas und kehrte im Gasthaus "Rose" ein, wo er fünf befreundete Theatermitglieder antraf. Er sprach sie in schwungvoller und begeisterter Rede an, und binnen kurzem hatte er sie soweit, daß sie bereit waren, mit ihm gemeinsam ein neues "Reych" zu gründen und zwar die "Schlaraffia Kyborgia". Diese war also ein Coburger "Reych", das hier gegründet und nach einigen Wochen in "Kybogia-Gotaha" umbenannt wurde. Da die Gründer wie auch die zunächst dazukommenden Freunde alle am Theater wirkten und also gemeinsam mit ihrem jeweiligen Wohnsitz zwischen Coburg und Gotha hin- und herpendelten, war diese räumliche Situation nicht von Belang. Schwieriger wurde es, als sowohl in Coburg wie auch in Gotha Mitglieder aufgenommen wurden, die aus dem bürgerlichen Milieu stammten und örtlich gebunden waren. Am Ende des ersten Jahres, das zunehmend auch von Schwierigkeiten und Missverständnissen geprägt war, beschloß Eilers, das "Reych" in zwei selbständige Einheiten in Coburg und Gotha zu trennen. So geschah es und ab April 1882 stand die "Gotaha" auf eigenen Füßen.

Das eigentliche Vereinsleben begann im Oktober mit 10 Rittern, einem Junker und drei Knappen. Bereits ein Jahr später waren es 19 Ritter, 2 Junker und 2 Knappen. Damit hatte die "Gotaha" bereits nach kurzer Zeit ihre endgültige Größe erreicht.

Das schlaraffische Leben läßt sich recht gut anhand der erhaltenen Protokolle nachvollziehen, die glücklicherweise weitestgehend erhalten geblieben sind. Die Sippungen fanden von Oktober bis April statt und die interessantere Zeit brach zweifellos immer im Januar an, wenn die Schlaraffen im Theaterensemble von Coburg nach Gotha kamen. Dann war die "Burg" (das Vereinslokal) voll und sie hallte 

wider von Gesangs- und sonstigen musikalischen Darbietungen. Opernarien, Lieder aus Operetten, aber auch Gassenhauer wechselten ab mit Solokonzerten auf dem Klavier, der Violine oder Harfe. Die Versammlungen begannen gegen 21 Uhr und endeten frühestens um Mitternacht. Dann schloß sich ein zwangloser geselliger Teil an ("Krystalline"), in dem man dem Gerstensaft zusprach und Gesang und Spiel weiter getrieben wurden.

Zu diesen Abenden kamen auch immer wieder Schlaraffen von außerhalb, z.B. aus Danzig, Straßburg, Erfurt, Weimar, Braunschweig, Berlin, Leipzig. Da allgemein bekannt gemacht wurde, wann und wo man sich traf, war es durchreisenden Freunden ohne Weiteres möglich, im Kreise Gleichgesinnter einen schönen Abend zu verbringen, wenn es sich zeitlich ergab. So konnten Freunde aus usw. begrüßt werden. Und ebenso waren Schlaraffen der "Gotaha" in fremden "Reychen" zu Besuch, berichteten von dort und richteten Grüße aus.

Gerne gesehen waren natürlich vor allem "Pilger", also präsumptiver Nachwuchs. An Pilgern hatte die "Gotaha" über viele Jahre keinen Mangel, doch wurde häufig auch allzu schnell und bedenkenlos aufgenommen mit der Folge, daß die Dauer der Migliedschaft in vielen Fällen einige wenige Jahre nicht überstieg. Und in den letzten drei Jahren gelang es überhaupt nicht mehr, neue Leute für das "Reych" zu gewinnen.

Insgesamt etwa 108 Personen waren der "Gotaha" in den Jahren ihres Bestehens verbunden. Es waren dies im Wesentlichen Eigengewächse, aber sie kamen auch von auswärts (Straßburg, Basel, Erfurt) und wurden in der "Gotaha" aufgenommen.

Die Mehrzahl der Sippungen verlief nach einem ähnlichen Schema. Nachdem ein Anfangslied gesungen worden war, wurden Gäste begrüßt, das Protokoll wurde verlesen, und anschließend kamen die mitgebrachten oder spontanen Vorträge an die Reihe. Besondere Würze brachten die zahlreich ausgefochteten "Duelle", bei denen sich zwei Mitglieder im Wettstreit gegenüberstanden, der entweder mit Worten oder musikalisch ausgetragen wurde, und zwar frei oder anhand eines vorgegebenen Themas.

Große Höhepunkte waren die Stiftungs- und Ordensfeste, bei denen bis zu 40 Personen aus weiterem Umkreis zusammenströmten, um der "Gotaha" zu ihrem Gründungsjubiläum zu gratulieren und sich nebenbei eine Auszeichnung oder einen Orden überreichen zu lassen. Das Stiftungsfest des Jahres 1889 war das größte und wurde in den 

Prunksälen des Hotels Deutscher Hof gefeiert. 61 Personen waren anwesend, zum Tanz spielten acht Musiker der Herzoglichen Hoftheater-Kapelle auf und Schlaraffen sowie deren Frauen ließen ihr musikalisches Talent in den strahlendsten Farben leuchten.

Ebenso regelmäßig fanden Weihnachtsfeiern statt, die (bis heute) "Uhubaumfeier" genannt werden und zu denen die Frauen oder Verlobten zugelassen waren. Dazu wurde dann mitunter ein größerer Saal gemietet, in dem zunächst gespeist wurde. Dann kam die Sippung, bei der die Frauen im Rahmen einer Bescherung ein kleines Präsent erhielten und den Abschluß bildete wieder ein zwangloses Beisammensein, gelegentlich mit Tanz bis in den frühen Morgen.

Über die Sommermonate wurde die Geselligkeit weiter gepflegt, dann aber natürlich in anderem Rahmen. Man begann 1883 mit einer wöchentlichen Kegelei in Hebestreits Garten . Dazu kamen verschiedene Sommerfeste und -sippungen, die teilweise mit anderen "Reychen" gemeinsam ausgerichtet wurden.

Weithin Aufmerksamkeit verschaffte sich das "Reych" mit der Ausrichtung eines schlaraffischen Sommerfestes am 20./21.08.1889 in Eisenach. 15 Mitglieder der "Gotaha" begrüßten 68 Auswärtige aus Berlin, Leipzig, Dresden, Wiebaden, Düsseldorf, Kassel und vielen anderen "Reychen"; sogar aus New York war ein Freund gekommen. Das Sommerfest wurde eröffnet mit fröhlichem Beisammensein auf der "Hohen Sonne". Nach der Besichtigung der Wartburg wartete im Gasthaus in der Stadt ein üppiges Mahl auf die Schlaraffen. Anschließend wurde eine heitere und sehr musikalische Sippung eröffnet. Bis weit in den Morgen dauerte die Feier. Als bleibende Erinnerung erhielten die Teilnehmer später eine eigens zu diesem Anlaß entworfene Medaille.

Ein anderes großes Ereignis in der Geschichte der "Gotaha" war die Tochtergründung eines "Reyches" in Weimar. Sie ging zurück auf die Initiative eines Freundes, der aus Straßburg gekommen war. Am 7. Dezember 1885 wurde mit einer großen und sehr feierlichen Veranstaltung im Kreise von etwa 45 Freunden die "Vimaria" aus der Taufe gehoben. Dieses Reych existiert übrigens bis heute und konnte erst vor wenigen Jahren sein 125. Stiftungsfest in der Weimarer Stadthalle zusammen mit etwa 600 Gästen begehen.

Das Gasthaus "Rose" in Gotha war, wie schon erwähnt, der Ort der frühesten Zusammenkünfte und wurde als "Rosenburg" bezeichnet. Jedoch schon zu Uhutag des Jahres 1882 zog man in das Prinzenhaus um und erst ab Oktober desselben Jahres fand man eine längere 

Bleibe im Gasthof zum Mohren ("Mohrenburg"). Fünf Jahre später stand der nächste Umzug an, der das Reych in das Restaurant Walther in der Siebleber Straße 28 führte ("Gleichenburg"). Wiederum drei Jahre später war man wieder im Gasthof zum Mohren. Die häufigen Ortswechsel mögen etwas seltsam anmuten, doch waren sie in der Schlaraffia seinerzeit aus verschiedenen Gründen durchaus nicht unüblich.

Die "Mohrenburg" wurde zur letzten Heimstätte der "Gotaha". Nach wenigen Jahren schon neigte ihre Geschichte sich dem Ende entgegen, denn offenbar hat in mancher Hinsicht schon recht früh eine gewisse Passivität Einzug gehalten. Dazu kamen persönliche Differenzen einzelner Mitglieder untereinander sowie Todesfälle bzw. Ortswechsel ausgerechnet derjenigen Personen, die für das innere Funktionieren und die Außenwirkung von entscheidender Bedeutung waren. Austritte und "innere Emigration" von Mitgliedern konnten in den letzten Jahren durch Neuaufnahmen nicht kompensiert werden und ab etwa Herbst 1891 begann sich das "Reych" zunehmend träge seinem Ende entgegen zu schleppen. Die Besuche der Sippungen ließen so sehr nach, das es im Sommer 1893 sanft entschlief. Und so sah sich die Praga, der die Organisation des weltweiten schlaraffischen Geschehens oblag, in einer Verlautbarung vom 8. März 1895 veranlaßt, die "Gotaha" aus ihren Matrikeln zu streichen

Traurig über das Ende der "Gotaha" waren vor allem die Schlaraffen aus Coburg, die bisher in den Monaten Januar bis April, wenn sie berufsbedingt in Gotha weilten, ihren schlaraffischen Neigungen allwöchentlich hatten nachgehen können. Hinzu kam eine kleine Schar ehemaliger Mitglieder der "Gotaha", die sich mit der Situation nicht abfinden mochten.

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Doch endlich, am 30. Januar 1904, mieteten einige Mitglieder der "Kyborgia" im Deutschen Hof einen Raum und veranstalteten dort eine "Improvisierte Sippung". Zu dieser kamen 8 Mitglieder der "Kyborgia", ein ehemaliges Mitglied der alten "Gotaha" und 30 Interessierte. Diesen Kreis zusammenzuschmieden wurde die Aufgabe des später dazu kommenden Ritters Krakeel/XIII, ehedem Mitglied der "Gotaha" und späterer Mitbegründer des "Reyches" in Erfurt. Aus einem begeisterten, aber offenbar auch etwas ziellosen Haufen formte er den Kern der zweiten "Gotaha". Zum Abschluß der offiziellen Sippungszeit fand am 20.04.1904 ein großes Fest im Bayerischen Bierhaus statt, zu dem sich zahlreiche Freunde aus den umliegenden Reychen einfanden. Im Sommer traf man sich nun regelmäßig zu Wanderungen auf den Seeberg oder fröhlichem 

Beisammensein im Bayerischen Bierhaus oder dem Gasthof "Schützen".

Als der Herbst ins Land zog, suchte man sich eine "Burg" und fand sie zunächst im Hotel Herzog Ernst. Dort wurde dann am 5. Oktober mit der 1. Improvisierten Sippung der Start in das Leben der neuen "Schlaraffia Gotha" begangen.

Nach einer "Probezeit" von einem Jahr erteilte die Praga am 6. Oktober 1905 die Gründungsbewilligung für die "Colonie", die als eine Art Vorstufe Bestand hatte, bis sie zum "Reych" sanktioniert wurde und dieses freudiges Ereignis am 20. und 21. April 1907 mit einem rauschenden Fest im Parkpavillon zelebrierte, dem 81 Gäste aus Thüringen, dem Rheinland, Sachsen, aus Prag, Rostock, Hamburg und Saabrücken beiwohnten.

Das "Reych" startete mit 27 Mitgliedern, deren Zahl sich bis 1914 auf bis zu 36 steigerte. In dieser Phase wurde das Vereinsleben in der "Burg" im Hotel "Stadt Coburg" (ab 1920 im Hotel zum Schützen) stabilisiert. Es etablierten sich feste Verbindungen mit Freunden und "Reychen" außerhalb. Die eigenen Mitglieder waren anfangs sehr aktiv beim Spiel, aber der künstlerische Einschlag kam doch immer erst dann wieder so richtig zum Tragen, wenn, wie früher, die Bühnenkünstler im Januar nach Gotha kamen und die Sippungen musikalisch bereicherten. In der Sippungsfolge fanden sich wieder Stiftungs- und Ordenfest sowie die schon bekannten "Uhubaumfeiern" mit den Frauen und jedes Jahr im Frühling wurden mehrere Junker zu Rittern geschlagen. In den Sommermonaten traf man sich Freitagabend zu geselligem Beisammensein und am Sonntagvormittag zum Frühschoppen. Ausflüge in die nähere Umgebung rundeten das Programm ab.

Nach einigen Jahren kam für die "Gotaha" die nächste richtige Bewährungsprobe in ihrem Auftreten nach außen. Denn seit 1898 pflegten sich die Thüringe "Reyche" in regelmäßigen Abständen zu sog. "Kombinierten Sippungen" zusammen zu finden. Und irgendwann kam natürlich auch die "Gotaha" dran. Am 24. 02.1912 öffneten sich die Pforten zur "Festburg" im neu erbauten Schloßhotel. Über 100 Freunde waren erschienen, dazu etliche Pilger. Auf der Empore drängten sich die Ehefrauen und Verlobten und verfolgten von dort aus eine überaus schwungvolle und an Höhepunkten reiche Sippung, die erst in den frühen Morgenstunden endete. Am nächsten Vormittag zog die Gesellschaft durch die Stadt, um sich sodann im Hotel "Stadt Coburg" zum Festbankett zu versammeln, dem sich ein heiterer Teil mit Vorträgen dichterischer und musikalischer Art anschloß. Der 

Erfolg war gewaltig und trug der "Gotaha" höchstes Ansehen ein.

Ein Wendepunkt kam mit dem Uhutag des 1. Weltkrieges. Mit zunehmender Dauer des Krieges verdüsterte sich die allgemeine Stimmung, zahlreiche Mitglieder der "Gotaha" standen im Felde und so sah sich das "Reych" gezwungen, das normale Sippungsgeschehen irgendwann fast vollständig einzustellen. Als im Oktober 1918 die neue Session begann, waren von den 36 Mitgliedern noch 22 übrig geblieben und vielen von ihnen drückte große wirtschaftliche Not. Diese konnte allerdings in mehreren Fällen durch Auszahlungen aus einem Solidarfonds zumindest teilweise abgeholfen werden, den das "Reych" 1914 eingerichtet hatte.

Ein regelmäßiges Vereinsleben begann erst wieder ein Jahr später und war den Zeitläufen entsprechend von großen Höhen und Tiefen geprägt. Aus heutiger Sicht mutet es bizarr an zu lesen, wie ab 1922 regelmäßig die Monatsbeiträge erhöht werden mußten. War dieser noch im Oktober 1921 neu auf 6,- Reichsmark festgesetzt worden, so war man im Herbst 1922 schon bei 500,- RM angekommen und im November 1923 ging man dann zu Goldpfennigen über, die jeweils 1 Milliarde Papiermark entsprachen. Die Auskehrung von 100 Milliarden Mark an den Saaldiener für die Monate Oktober und November markierten im "Reych" den Höhepunkt der Hyperinflation. Danach kam die Rentenmark und das Preisniveau normalisierte sich.

Am 29.03.1924 wurde dann die XX. kombinierte Sippung der Thüringer "Reyche" im Festsaal des Schloßhotels nachgeholt, die eigentlich schon ein Jahr früher hatte stattfinden sollen, jedoch wegen der Inflation abgeblasen worden war. Zahlreich waren auch diesmal die Besucher herbeigeströmt, diesmal allerdings tatsächlich fast auschließlich aus Thüringen stammend.

Zu dieser Zeit strebte die "Gotaha" ihrem Höhepunkt hinsichtlich der Mitgliederzahl entgegen, der 1926 mit immerhin 47 Personen erreicht wurde. Diese erfreuliche Tatsache reflektiert den Umstand, daß sich zu dieser Zeit in ganz Deutschland die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse ein wenig stabilisiert hatten. Das endete allerdings schon bald mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise. Nun war es für etliche Mitglieder nicht mehr möglich, am schlaraffischen Leben weiter teilzunehmen und so sank ihre Zahl wieder deutlich. Im "Reych" machten sich finanzielle Engpässe bemerkbar, denn auch ein größerer Teil der verbliebenen Mitglieder konnte die Beiträge nicht mehr aufbringen und sie mußten gestundet bzw. am Ende ganz abgeschrieben werden. Trotzdem konnte auch in dieser trüben Zeit das 25. Stiftungsfest im großen Rahmen mit fast 100 Gästen gefeiert werden.

Uhufinstere Zeyt
Im Januar 1933 griffen die politischen Ereignisse tief in das schlaraffische Leben auch der Gotaha ein. Als im Frühjahr 1933 die Nationalsozialisten in Berlin an die Macht kamen, geriet der an und für sich unpolitische Bund in schweres Fahrwasser. Die national- völkische Presse hatte schon seit vielen Jahren ihren Honig daraus gesogen, daß die Schlaraffia von Prag aus gelenkt wurde, also aus dem Ausland. Zudem waren etliche Mitglieder der Prager Leitung Juden und damit war die Daseinsberechtigung im nationalsozialistischen Deutschland prinzipiell in Frage gestellt. Die "Reyche" in Deutschland sahen nur einen Weg, sich dem Druck zu entziehen und die weitere Existenz zu sichern: Man paßte sich an. Im April 1933 fand in Leipzig eine Tagung statt, auf der die Gründung eines eigenständigen deutschen Schlaraffenbundes beschlossen wurde. Er verankerte in seine Satzung den Arierparagraphen und das Führerprinzip. Alle "Reyche", auch die "Gotaha", übernahmen diese Punkte in ihre Hausgesetze.

Es muß leider gesagt sein, daß zahlreiche Schlaraffen die neue Regierung und den Geist, der nun durch Deutschland wehte, durchaus begrüßten. Das war in der "Gotaha" nicht anders als in den übrigen "Reychen" und liegt sicher auch darin begründet, daß sich hier inzwischen fast ausschließlich Vertreter des bürgerlichen Mittelstandes bewegten, die seit 1918 in einem Gefühl von politischer Entwurzelung lebten und große Mühe hatten, sich den Verhältnissen in der Weimarer Republik und allen sonstigen kriegsbedingten Veränderungen innerlich anzupassen.

Der Gleichschaltung zum Trotz mußten zunächst alle NSDAP- Mitglieder die Schlaraffia verlassen, später wurden Restriktionen für Angehörige der Reichswehr und Beamte wirksam. Von mehreren Seiten bedrängt, verlor die "Gotaha" langsam ihr Existenzgrundlage. Sie betrieb ihr Spiel zwar weiter, doch näherte sich der Punkt, an dem die allgemeine Resignation nicht mehr zu unterdrücken war. Nachwuchs war unter den obwaltenden Umständen kaum zu gewinnen und so wurde ein langsames Siechtum abgekürzt, als Ende Januar 1937 eine Anordnung zur Auflösung der Schlaraffia in Deutschland erging, die vom Chef der Deutschen Polizei, SS- Obergruppenführer Reinhard Heydrich unterzeichnet war. Am 10.02.1937 faßte die "Gotaha" den Beschluß zur Auflösung und Liquidation des Vereinsvermögens.

Ab dem Frühjahr 1946 wurde wieder ein wöchentlicher Stammtisch im Ratskeller abgehalten. An ihm fanden sich auch heimatvertriebene Schlaraffen aus den ehemaligen Ostgebieten ein, die später eine Mehrheit bildeten. Als sie weiter gen Westen zogen, rückte ein 

Wiederaufleben schlaraffischer Aktivitäten in weite Ferne. Übrig blieben nur noch zwei ehemalige Mitglieder, die weiter in Gotha wohnten und in anderen "Reychen" als Angehörige 110 der "Gotaha" Besuche absolvierten. Als diese starben, war die schlaraffische Tradition in Gotha beendet.

Die Sassen der Reyche

Zum Schluß nun noch die Antwort auf die Frage: Wer waren die Schlaraffen eigentlich im normalen Leben, wenn sie ihre "Burg" verließen? Zunächst, wie gesagt, handelte es sich i.W. um Schauspieler und Musiker aus dem Ensemble des Hoftheaters. Diese wurden aber rasch zur Minderheit durch den Andrang von Vertretern der bürgerlichen Mittelschicht, von denen hier nur einige genannt werden sollen (zunächst diejenigen, die in der ersten "Gotaha" Mitglied waren):

Wilhelm Bittner (Hauptschriftleiter der Gothaer Zeitung. später Verlagsbuchhändler), Otto Blödner (Fabrikant von Mineralwasser und Hoflieferant),
Eugen Cyriax (Eigentümer einer Drogen-, und pharmazeutischen Spezialitäten-Großhandlung), Paul Fahr (Eigentümer einer Fabrik von Schuhleisten und Absätzen),

Friedrich Ludwig Rudolf Funger (Buchhändler),
Emil Gräser (Inhaber der Fa. Eduard Georges, Glaswaren- und Porzellanhandlung), Carl Hellfarth (Lithograph und Besitzer einer Steindruckerei),
Ernst Munck (Hof-Pianofortefabrikant),
Hermann Pätzold (Hof-Photograph),
Hans Perthes (Buchhändler),
Paul Seyfarth (Musikalienhändler),
Daniel Uffrecht (Kunst- und Handelsgärtner),
Wilhelm Wolff (Eigentümer der Nadelfabrik Ichtershausen)

Dazu kamen Lehrer, Bankiers und weitere Kaufleute.

Die Mitglieder der zweiten "Gotaha" hatten von Uhutag an nur noch in Einzelfällen einen Bezug zu Theater und Musik. Einige seien hier genannt:

Kurt Albrecht (Kürschnermeister),
Arthur Beckert (Mitinhaber eines Wäschegeschäftes am Hauptmarkt),
Dr. Otto Bretzfeld (Rechtsanwalt und Notar),
Rudolf Datz (Miteigentümer der Eisengießeri und Maschinenfabrik Brand & Grasemann), Alfred Engelmann (Hofjuwelier),
Artur Georges (Tierarzt),
Arno Hühn (Zahnarzt),
Willi Hochapfel und Karl Kendzia (Schauspieler),
Ernst Looß (Mitinhaber der Gothaer Werkzeugmaschinenfabrik Looß & Hempel),
Alfred Nehrlich (Besitzer einer Buchdruckerei),
Richard Pfestorf (Direktor der Fortbildungsschule),
Heinrich Ruhfus (Kaufmann und Hoflieferant),
Hugo Umbreit (Kaufmann, Mühlenbesitzer und Handelsgerichtsrat),
Hermann Vierschrodt (Miteigentümer der Maschinen- und Gummiartikelfabrik Blödner & Vierschrodt),
Dr. Otto Wartisch (Theater-Kapellmeister).

Auch hier gab es zudem eine große Zahl von kleineren Mittelständlern, Beamten und Angestellten, die den Hauptbestand

der insgesamt etwa 120 Mitglieder der zweiten "Gotaha" ausmachten.

(Quelle: Chroniken der Gotaha 28 und 155 von Rt Liebro-Viel)

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